Saatgutverkehrsregelung in der Schweiz und in Europa

Am Beginn der Saatgutverkehrsregelungen stand die öffentlich-rechtliche Aufgabe, die Produktivität der Landwirtschaft zu erhöhen. Entstanden sind dabei diskriminierende Verordnungen, die heute die Sortenvielfalt bedrohen und die Ernährungssicherheit in die Hände Weniger legen. In einigen Ländern wurden Korrekturen in die richtige Richtung gemacht.

Saatgutverkehrsregelungen hatten in erster Linie das Ziel, Landwirten*innen produktivere Sorten in Form von qualitativ einwandfreiem Saatgut zur Verfügung zu stellen. Die erste Verordnung über Saatgut stammt aus dem Jahr 1934, gefolgt von einem Gesetz über Sortenschutz und Saatgut 1953 sowie der Trennung von Sortenschutz und Saatgutverkehrsrecht in 1968 gefolgt von weiteren überarbeitungen in den nächsten Jahrzehnten.

Ein Gesetz schießt übers Ziel hinaus
Die heutige EU-Saatgutverkehrsregelung verlangt generell, dass nur Sorten inverkehrgebracht werden dürfen, die in einem offiziellen Katalog gelistet sind.* Wäre diese Regelung in allen Ländern kompromisslos umgesetzt worden, dann hätte dies zum Verschwinden unzähliger alter Lokal- und Landsorten geführt, denn diese waren nicht für den überregionalen Handel vorgesehen und somit nie gelistet worden. Das Saatgut dieser Sorten wurde lokal von Landwirt zu Landwirtin und von Gärtnerin zu Gärtner weitergegeben. Durch Regelungen, die sich am überregionalen Markt orientierten, wären alle traditionellen und lokalen Sorten von einem Tag auf den anderen in die Illegalität verbannt worden und aus dem lokalen Handelssystem verschwunden. Für eine lokale Anmeldung der Sorten lohnte sich weder der Aufwand noch die Bezahlung der hohen Gebühren.

Hinzu kommt, dass Züchter*innen oder Landwirt*innen, die trotz alledem ihre traditionellen Sorten auf die geforderten Listen bringen wollten, sich mit weiteren Hürden konfrontiert sahen. Für die Anmeldung musste die Sorte «einheitlich», «stabil» und von bereits angemeldeten Sorten klar «unterscheidbar» sein (engl. DUS-Kriterien genannt). Vor allem beim Kriterium der Einheitlichkeit, die sich ganz und gar an den modernsten Sorten orientiert, scheitern die traditionellen Sorten, da strenge Einheitlichkeit für die traditionelle Landwirtschaft nie ein Selektionskriterium war.

Mit dem rasanten Verschwinden dieser Sorten ging auch das Wissen um deren Nutzung sowie deren Geschmacks- und Anbaueigenschaften verloren. Eine beispiellose Vereinheitlichung und Monotonisierung des Sortenangebotes im weltweiten Handel war die Folge.

Dass wir heute immer noch traditionelle Sorten auf lokalen Märkten finden können, ist der Tatsache zu verdanken, dass auf Länderebene hier und dort legale Möglichkeiten geschaffen wurden, die auch traditionellen Sorten eine Nische frei hielten in denen diese bis heute weiterhin gehandelt und getauscht werden können.

* Inverkehrbringen umfasst dabei alle Tätigkeiten, bei der Saat- und Pflanzgut in irgendeiner Weise einer anderen Person weiter gereicht wird. Auch reines Austauschen oder Herschenken wird als Inverkehrbringen betrachtet.

Die Abhängigkeit vieler von ein paar wenigen
Alte Sorten haben alle Fähigkeiten, um fruchtbare Nachkommen zu produzieren. Bei den modernen zugelassenen Sorten handelt es sich hingegen meist um Hybride. Die Hybride sind es denn auch, welche das Bild einer Sorte in den Köpfen derjenigen, welche die Verordnungen formulieren, prägen. Hybride zeichnen sich durch eine hohe Produktivität und – im Gegensatz zu den meisten alten Sorten – durch eine sehr große Einheitlichkeit in der ersten Generation aus. Sie produzieren aber keine brauchbaren Nachkommen. Die Landwirt*innen sehen sich daher gezwungen, das teure Saatgut, das sie nicht mehr nachbauen können, immer wieder neu beim Saatgutproduzenten einzukaufen. Was für Landwirt*innen in Industrieländern meist keine Hürde ist, kann für jene in Entwicklungs- und Schwellenländern existenzbedrohend sein. So führt die strenge Anwendung der im Saatgutverkehrsgesetz geforderten DUS-Kriterien indirekt zur 100-prozentigen Abhängigkeit vieler von ein paar wenigen Akteuren.

Harte Debatte um die EU-Saatgutverordnung
In der EU wurde 2007 bis 2014 um eine neue und verbesserte Saatgutverordnung in einem riesigen EU-Agrarmarkt gestritten. Während die eine Front nur noch sorten- oder patentgeschützte Hochleistungssorten über ein aufwendiges und teures Prüfungsverfahren zulassen wollte, forderte die andere eine möglichst hohe Sortenvielfalt im Handel und wünschte möglichst gar keine Vorschriften.

Der Vorschlag der EU-Kommission, nach welchem Saatgut erst nach einer europaweiten Registrierung mit Eintrag in einem Zentralregister verkauft werden darf, wurde am 11. März 2014 mit 650 zu 15 Stimmen deutlich zurückgewiesen. Bis Ende 2020 wird nun von der Kommission ein neuer Vorschlag zur Reform erwartet. ProSpecieRara hat eine Spezialistin in Brüssel damit beauftragt, die Entwicklung für die Saatgutinitiativen in ganz Europa zu verfolgen und auf diese Einfluss zu nehmen.

Die Bedeutung der Saatgutverkehrsregelungen für die Arbeit von ProSpecieRara
Eine liberal ausgestaltete Saatgutverordnung, welche den möglichst freien Anbau, Austausch und Verkauf auch von alten und nicht-homogenen Sorten erlaubt, ist für die Arbeit von ProSpecieRara überlebenswichtig. Ohne diese Freiheit kommt die Vielfalt nicht aufs Feld und in den Garten und kann von den Landwirt*innen und Gärtner*innen nicht mehr erhalten werden. Deshalb engagieren wir uns auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene im Rahmen des in Brüssel als Verein gemeldeten Netzwerkes «European Coordination Let’s Liberate Diversity» (EC LLD) für Regelungen, welche der Vielfalt dienen.