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Apfelsortengeschichte - Spannend wie ein Krimi!

Hans-Joachim Bannier wird als einer der profundesten Obstsortenkenner Deutschlands bezeichnet. Er beschrieb kürzlich in einem Vortrag die wechselvolle Geschichte der Apfelzüchtung. An ihr lässt sich zeigen, dass die Veränderung einzelner Gene keine Problemlösung für die Landwirtschaft sein kann. Hier erscheint eine Zusammenfassung des Vortrags.

verschiedene Apfelsorten auf Tellern

Wenn Hans-Joachim Bannier über Apfelsorten spricht, dann spricht er aus Erfahrung. In Bielefeld bewirtschaftet er einen kleinen Obstbetrieb mit 3 ha Streuobstflächen und 2 ha Sortengarten. Hier gedeihen etwa 400 verschiedene Apfelsorten - darunter ganz alte Sorten, die schon im Mittelalter angebaut wurden, aber auch moderne Züchtungen. In seinem Betrieb werden keine Fungizide, also Mittel gegen Pilzkrankheiten, wie z.B. gegen Schorf oder Mehltau, gespritzt. Das ist heutzutage eine Besonderheit. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist üblich im Tafelobstanbau, denn heutige Supermarktsorten sind hochempfindlich und kommen ohne Pflanzenschutz nicht klar. So gehört der Obstbau gegenwärtig zu den landwirtschaftlichen Kulturen mit dem höchsten Einsatz dieser Mittel.

Doch Hans-Joachim Bannier wollte es wissen: Geht ein Obstbau ohne Fungizideinsatz? Er baut seit 1995 seinen Sortengarten auf, beobachtet Jahr für Jahr und stellt fest: Es gibt Sorten, oft moderne Züchtungen, die schrecklich aussehen, weil sie von Mehltau, Schorf und/oder Obstbaumkrebs befallen sind. Aber es gibt auch Sorten, die keinerlei Krankheiten haben. Es finden sich vor allem alte Obstsorten, die gegen Schorf, Krebs und Mehltau widerstandsfähig sind, so etwa die älteste dokumentierte deutsche Apfelsorte, der 'Edelborsdorfer' der schon im 13. Jahrhundert angebaut wurde. Weitere ähnlich resistente Sorten sind der 'Seestermüher Zitronenapfel', der 'Finkenwerder Herbstprinz', 'Martens Sämling' oder 'Luxemburger Triumph'.

Die Anfälligkeit moderner Sorten erklärt sich, wenn man einen Blick auf die Geschichte der Apfelzüchtung wirft.

Bis ins 19. Jahrhundert: überwiegend robust

Obstbau und -züchtung fand in Deutschland vor 1900 ausschließlich auf Bauernhöfen im Nebenerwerb statt. Pflanzenschutzmaßnahmen fanden in der Regel nicht statt. Die fungizide/pilztötende Wirkung der klassischen Spritzung mit Kupfer- oder Schwefelpräparaten wurde erst in den 1880er Jahren entdeckt. Neue Sorten entstanden vor 1850 meist als Zufallssämlinge. In den großflächigen Anbau schafften es also nur Sorten, die robust genug waren, allein mit Krankheitserregern klarzukommen. Krankheitsanfällige Sorten wie beispielsweise 'Cox orange' wurden allenfalls als Liebhabersorten mit hoher Pflege angebaut.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann in Europa die gezielte Kreuzungszüchtung beim Apfel. Ein zunehmender Bedarf an Obst in den wachsenden Städten und zunehmend weitere Vermarktungswege veränderte den Anspruch an die Apfelsorten – der Trend ging weg von Lageräpfeln für den regionalen Verkauf oder die Selbstversorgung hin zu aromatischen Tafeläpfeln für die Vermarktung. Gezielt wurden hoch aromatische, aber krankheitsanfällige Liebhabersorten mit robusten Massenträgern gekreuzt und es entstanden mit etwas Glück Sorten, die aromatische Tafeläpfel in Masse lieferten. Auch zu dieser Zeit konnten sich nur Sorten durchsetzen, die mit wenigen Pflanzenschutzmitteln anbaubar waren. Beispiele sind die, Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen, Sorten 'Holsteiner Cox', 'Alkmene' und 'Discovery'.

20. Jahrhundert: Züchtung unter Pflanzenschutzmitteln

Die Wende zum modernen pestizidbedürftigen Obstbau entstand in Amerika seit den 1930er Jahren, in Deutschland wenig später. Dies fiel zusammen mit dem wachsenden Interesse am Obstbau von Chemieunternehmen wie Bayer. Der heutige Chemie-Konzern unterhielt seit den 1940er Jahren ein eigenes Versuchsgut für den Obstbau. Seit den 1950er Jahren kam es zum großflächigen Anbau von Apfelsorten aus Amerika wie 'Golden Delicious', 'Jonathan' und 'McIntosh' und der englischen Sorte 'Cox orange'. Allesamt sind stark anfällig für Krankheiten und nur mit Pestizideinsatz gewinnbringend anzubauen.

Für heutige Obstbauern erscheint die Krankheitsanfälligkeit von Apfelsorten als normal. Sie ist jedoch, laut Hans-Joachim Bannier, das Ergebnis einer historischen Entwicklung, die nur aufgrund der Verwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel möglich wurde. Allein mit der Spritzung von Kupfer- oder Schwefelpräparaten wäre diese Entwicklung nicht denkbar gewesen.

Dramatisch ist die weitere Folge dieser Entwicklung: Weltweit wurde seit Mitte des 20. Jahrhunderts nur noch mit fünf hochanfälligen Elternsorten gezüchtet, nämlich 'Golden Delicious', 'Cox orange', 'Jonathan' und in Amerika 'McIntosh' und 'Red Delicious'. Das Zuchtziel Vitalität stand nicht mehr im Fokus und es entstand eine vorher nie da gewesene genetische Verarmung.

In der Folge haben moderne Sorten eine höhere Anfälligkeit als traditionelle Sorten bei Schorf, Mehltau, Elsinoe-Blattflecken und Viren wie zum Beispiel Apfeltriebsucht.

Jüngste Züchtung: Einzelne Gene kommen dazu

Als Reaktion auf diese große Krankheitsanfälligkeit wurde in den letzten 40 Jahren in der klassischen Züchtung nicht auf die Kreuzung mit robusten traditionellen Sorten gesetzt. Stattdessen wurde der Japanische Wildapfel Malus floribunda eingekreuzt. Der Laie ist verwundert und fragt sich warum. Die Erklärung liegt in den Genen. Der Japanische Wildapfel ist resistent gegen Schorf und diese Eigenschaft lässt sich auf einem Gen verorten. Diese sogenannte monogene Schorfresistenz lässt sich "berechenbarer" in Sorten einkreuzen als bei alten Sorten, wo die Schorfresistenz auf verschiedenen Genen verteilt liegt (polygene Resistenz). Das klingt auf den ersten Blick gut, birgt aber ein Problem:  Auch der Japanische Wildapfel wurde weltweit in der Züchtung verwendet und es wurde weiter mit den altbekannten anfälligen Sorten gezüchtet. Diese weitere genetische Verengung führt in Folge dazu, dass die Schorfresistenz bei zahlreichen Apfelneuzüchtungen inzwischen gebrochen ist. Krankheitserreger passen sich schnell an die Resistenz an und schädigen die Bäume dann doch. Die Strategie der monoresistenten Schorfresistenz kann als gescheitert bezeichnet werden, so Hans-Joachim Bannier.

Obstzüchtung der Zukunft

Und damit sind wir in der gegenwärtigen Diskussion angekommen: Wie können wir die Probleme lösen? Glaubt man der Gentech-Lobby wären Resistenzdurchbrüche ganz normal und man müsste nur schneller sein mit der Sortenentwicklung, dann könnte man den Pilzkrankheiten mittels Gentechnik "vorauseilen". Hans-Joachim Bannier hält dagegen und erinnert an die Sortengeschichte im Obstbau und an alte Apfelsorten, bei denen die (polygenen!) Resistenzen seit Jahrhunderten ungebrochen sind. Beispielsweise beim 'Edelborsdorfer' hält die Schorftoleranz seit rund 800 Jahren, bei der 'Roten Sternrenette' seit 250 Jahren oder beim 'Finkenwerder Prinzenapfel' seit 160 Jahren. Resistenzdurchbrüche müssen also nicht sein, eine Gentechnik, die einzelne Gene "verpflanzt" ist unnötig. Wir haben uns seit den 1940er Jahren den Luxus geleistet, nur noch mit krankheitsanfälligen Sorten zu züchten, eine zukunftstaugliche Apfelzüchtung sieht anders aus.

Eine nachhaltige ökologische Obstzüchtung braucht, so Hans-Joachim Bannier, einen Systemwechsel. Vitale polygen resistente traditionelle Sorten sollten (wieder) für die Züchtung genutzt werden. Auch wenn die einzelnen Schritte der Kreuzungszüchtung länger dauern als schnelle gentechnische Verfahren, so führt sie doch zu nachhaltigeren Ergebnissen.

Zum Glück sind Obstbäume oft langlebig und wir können auch heute noch auf viele traditionelle Sorten zurückgreifen. So widmet sich Hans-Joachim Bannier seit einigen Jahren auch der ökologischen Apfelsortenzüchtung und engagiert sich dafür im Verein apfel:gut e.V.

Zusammengefasst von Ulrike Meißner

Der Vortrag "Warum einzelne Gene die Probleme der Landwirtschaft nicht lösen können und warum wir stattdessen Vielfalt brauchen - Dargestellt am Beispiel des Apfels, seiner Anbauprobleme und seiner Züchtungsgeschichte" von Hans-Joachim Bannier kann aktuell noch online angesehen werden. Hier geht's zum Vortrag.